Wie entscheiden in der VUKA-Welt?
Künstliche Intelligenz zwischen Umsetzbarkeit und Superintelligenz, Planbarkeit und Zukunftsvision.
Veranstaltungsdatum: 16.09.2017
Stephan Huthmacher
Noch vor wenigen Jahren beherrschten Themen wie Data Driven Company, Digitalisierung, Cloud & Mobile Computing, Big Data, Smart Services oder Industrie 4.0 die Diskussion rund um Wandel und Innovation, nicht zuletzt auch auf den Petersberger Gesprächen. Inzwischen selbstverständlich geworden, werden sie heute durch eine ständig wachsende Anzahl an Technologien, Anwendungen und Begriffen ersetzt, für die sich der Sammelbegriff "Künstliche Intelligenz" etabliert hat. Mit Bedeutung versehene Text-, Sprach-, Objekt- und Bilderkennung, KI-Bots, Augmented Reality, Cyborgs oder Soft Robotics – was auf den ersten Blick wie eine neue Spielart der Digitalisierung aussieht, markiert in Wahrheit eine historische Diskontinuität, ja eine epochale Disruption. Sie betrifft einmal die Art und Weise, wie Daten gesammelt, analysiert, ausgewertet und in Aktion umgesetzt werden. Zum anderen geht sie weit darüber hinaus. Spätestens mit der Annahme einer Artificial General Intelligence als einer dem Menschen weit überlegenen Superintelligenz, werden immer öfter Fragen laut, wie das künftige Verhältnis von Mensch und Maschine aussehen wird, kann und soll.
Schon heute verfügen intelligente cyber-physische Systeme über kognitive, soziale, ‚mentale’ und inzwischen auch motorische Fähigkeiten, die bis vor kurzem dem Menschen vorbehalten waren. Dazu gehört vor allem unsere Fähigkeit, selbständig zu lernen und das Erlernte im weiteren Training zu verbessern. Auf der KI-Seite erfolgt dieses Lernen als Deep Learning auf der Grundlage neuronaler Netze, zwar vom Menschen initiiert, doch danach autonom, zielgeleitet, ohne Ablenkung und rund um die Uhr - bis das Lernziel erreicht ist. Diese unbeirrbare und strikt ergebnisorientierte Lernfähigkeit der KI ist der eigentliche Treiber und Game Changer des Epochenwandels.
Der Einfluss der künstlichen Intelligenzen und der smarten Roboter wird sich vor allem auf die Wirtschaft und damit auf den Arbeitsmarkt auswirken. Ergänzten und ersetzten Innovationsschübe früher zuerst die Muskelkraft und später die Rechenfähigkeit des Menschen, so ist die KI bereits heute in der Lage, viele Tätigkeiten auch von Wissensarbeitern zu automatisieren. Das bedeutet, den Mitarbeiter entweder zu unterstützen und seine Skills zu erweitern – oder ihn kurzerhand 'intelligent' zu ersetzen.
Während vieles an der KI-Diskussion Zukunftsvision ist, gehört die aktive Beschäftigung mit den bereits vorhandenen oder bald marktreifen Möglichkeiten der KI schon heute zu den wichtigsten Hausaufgaben von Unternehmen. Die entscheidende Frage ist von daher nicht so sehr: „Wen können wir wo durch KI ersetzen?“ Vielmehr: „Wie können wir mit Hilfe von KI noch agiler, innovativer und wettbewerbsfähiger werden? Wie können wir unsere Führungskräfte auf allen Unternehmensebenen noch besser in die Lage versetzen, in einer schwankenden Welt voller Ungewissheit und Komplexität die richtige Entscheidung zu treffen?“ Auf die Ausführungsebene heruntergebrochen: „Welche Prozesse lassen sich durch die Teambildung mit welchem KI-System oder ‚Kollegen Roboter‘ optimieren und im Ergebnis verbessern?“
Sind es heute erst Teilbereiche wie z.B. Controlling, Projekt- und Performance Management oder Human Resources, die von intelligenten Assistenzsystemen unterstützt werden, so können es schon morgen unternehmensstrategische, organisatorische und erfolgskritische Entscheidungen sein, bei denen das KI-System dem Top-Management zur Seite steht. Daten- und Algorithmenbasiert und weit besser als der Mensch in der Lage, die wachsende Vieldeutigkeit, Komplexität und Unberechenbarkeit unserer Welt zu erfassen, zu analysieren und innovative Gestaltungsvorschläge zu entwickeln. Unvoreingenommen, unparteiisch und so gut wie ohne kognitive Verzerrungen, blinde Flecken oder ‚Denkverbote‘ – auch dies eine der Schlüsselerwartungen an die intelligenten Agenten und Assistenzsysteme in den Unternehmen.
Je mächtiger und umfassender die KI in unser Leben eingreift und an Entscheidungsprozessen beteiligt wird, desto dringender stellt sich die Frage, ob alles, was durch KI möglich ist, auch gemacht werden darf. Dürfen wir dem Entwicklungsdrang freien Lauf lassen? Oder brauchen wir Regeln und Prinzipien, die bei den Zielen anfangen und bei den Programmierern und Algorithmen sowie der Qualität der Trainingsdaten nicht aufhören. Wenn ja, welche oder wessen Regeln? Eine Frage, die angesichts der vielen unterschiedlichen Wertesysteme und Interessen in der Welt nicht leicht zu beantworten ist.
Auch in diesem Jahr bieten die Petersberger Gespräche ein Forum, auf dem solche Fragen rund um Künstliche Intelligenz gestellt werden können und das Thema aus allen möglichen Perspektiven beleuchtet wird. Aus der praxisorientierten Sicht des heute schon Machbaren in Sachen KI und Management. Aus der Perspektive der Ethik und gesellschaftlicher Verantwortung. Nicht zuletzt auch aus dem visionären Blickwinkel, d.h. dem Blick über den Tellerrand der eigenen Praxis hinaus, in eine Zukunft, von der wir nur wissen können, dass sie kommt, doch nicht wirklich wie.
Impressionen Petersberger Gespräche 2017
Eröffnungsrede von Stephan Huthmacher
Die Petersberger Gespräche 2017 wurden traditionell von Stephan Huthmacher eröffnet, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden der Comma Soft AG. Nach der Begrüßung der Vortragenden spannte er einen Bogen von den Möglichkeiten und Chancen der Künstlichen Intelligenz über die Herausforderungen z.B. für den Arbeitsmarkt bis hin zur Frage nach der Vertrauenswürdigkeit von Algorithmen. Wie lassen sich die Ergebnisse der Algorithmen basierten Systeme nachvollziehen, mit denen sie unsere Entscheidungen unterstützen? Wie lässt sich kontrollieren, ob die zugrunde gelegten Daten neutral, diskriminierungsfrei und ohne unbewusste oder manipulative Verzerrungen sind? Wie lassen sich Blackbox-Algorithmen durchleuchten und ihr Rechenprozess transparent machen? Wie könnten Auditverfahren konzipiert sein, mit denen KI-Anwendungen in besonders kritischen Bereichen wie z.B. dem Öffentlichen Dienst oder der Verteidigung auf den Prüfstand gestellt werden können?
Einführungsrede von Prof. Dr. Dr.-Ing.h.c. Heinz-Otto Peitgen
Prof. Dr. Dr.-Ing.h.c. Heinz-Otto Peitgen begleitete die Petersberger Gespräche von Anfang an. Mit seinem zugleich aufmerksamen wie nachdenklichen Moderationsstil prägte er den von Neugier und gegenseitiger Wertschätzung getragenen Geist des interdisziplinären Forums. Moderation begrenzt sich bei Prof. Dr. Peitgen nicht nur auf Zusammenfassung und Überleitung. Sie wird vielmehr zum Brückenschlag zwischen den Themen und Vorträgen, der immer auch Kommentar und Inspiration zugleich ist.
Auf dem diesjährigen Forum ging Prof. Dr. Peitgen unter anderem der Frage nach der Vertrauenswürdigkeit von Algorithmen basierten Systemen nach und stellte zur Diskussion, inwieweit Auditierungsverfahren überhaupt notwendig seien. Man würde bereits heute automatisierten und selbststeuernden Systemen Vertrauen entgegenbringen, wie z.B. beim Autopiloten im Flugzeug der Fall. Darüber hinaus schlug Prof. Dr. Peitgen vor, den Begriff „Künstliche Intelligenz“ durch „Cognification“ zu ersetzen.
Nächste Ausfahrt Zukunft
Wir erleben derzeit eine epochale Scharnierphase so wie einst, als das Mittelalter durch die Renaissance abgelöst wurde oder die Moderne das Bürgertum erschütterte. In solchen historischen Epochen veränderten technische Neuerungen die Gesellschaft und die Selbstsicht des Menschen. Die digitale Revolution wird uns ebenfalls verändern: Aus Massenmedien werden die Medien der Massen, die Konsequenzen von Big Data und künstlicher Intelligenz könnten das Ende der Kausalität einläuten. Wird der Einsatz von Algorithmen einen Phasenübergang unserer Gesellschaftsordnung auslösen? „Zukunft“ ist nicht unbedingt mehr ein positiv besetzter Begriff. Viele fürchten sich vor einer Welt, die so anders sein wird als alles, was wir kennen. Daher auch regressive Entwicklungen wie der Rückfall in Nationalismus und Abschottung oder die instabile Eigendynamik der Finanzmärkte. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Was wird sich ändern, was bleibt und wie können wir diese Zukunft gemeinsam gestalten?
Superintelligenz – und dann?
In 2 Jahrzehnten, so schätzt man – ist es soweit, und Künstliche Intelligenz übertrumpft den Menschen in fast allen Bereichen. Vielleicht erleben wir diese sogenannte Singularität aber schon früher. Werden dann superintelligente Systeme unsere Weltprobleme lösen und die Welt optimal regieren, oder bleibt das ein unerfüllter Traum? Und was passiert mit unseren Arbeitsplätzen? Wird es den Menschen noch brauchen? Werden wir leben wie Götter oder wie Haustiere, oder von Robotern achtlos vernichtet werden wie Ameisen, fragte einst Steve Wozniak, der Mitbegründer von Apple. Wir ahnen schon, dass die Künstliche Intelligenz nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft durcheinander wirbeln wird. Neben der digitalen Transformation braucht es die gesellschaftliche Transformation. Wie aber kann diese aussehen, um fit für die Zukunft zu werden? Ich erläutere, dass wir neue Arten von digitalen Plattformen benötigen, um unsere Gesellschaft nachhaltig und krisenfest zu machen. Um auf ein neues Level von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zu gelangen, braucht es außerdem eine digitale Transformation des Geld- und Finanzsystems und Maßnahmen, die zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft und Sharing Economy führen, damit die begrenzten Ressourcen des Planeten auch in Zukunft reichen. Ich erläutere, dass sich die faszinierenden Möglichkeiten digitaler Technologie nicht mit allgegenwärtigen superintelligenten Systemen erschöpfen, sondern dass die eigentliche digitale Revolution erst noch kommt – jene, die jeden befähigt, bessere Entscheidungen zu treffen, kreativer und innovativer zu sein, sich besser zu koordinieren und zu kooperieren. Ko-Kreation, Ko-Evolution und kollektive Intelligenz sind die Erfolgsrezepte der Zukunft. Europa könnte Weltmarktführer in dieser zweiten Phase der Digitalisierung werden.
Künstliche Intelligenz wird alles ändern
Ist das Ende der vom Homo sapiens sapiens dominierten Geschichte in Sicht? Kaum 75 Jahre nach Konrad Zuses erstem programmgesteuerten Rechner erledigen unsere selbstlernenden künstlichen neuronalen Netze manche Aufgabe bereits besser als Menschen und gewinnen dabei zahlreiche Wettbewerbe. Automatisch entdecken sie Tumorzellen im menschlichen Gewebe, erkennen Sprache, Handschrift oder auch Verkehrszeichen für selbstfahrende Autos, sagen Aktienkurse voraus, übersetzen Texte oder steuern Roboter für die Industrie 4.0. Heute schon sind unsere seit den 1990ern in München und der Schweiz entwickelten tiefen Netze Milliarden Smartphone-Nutzern zugänglich, etwa für Spracherkennung und maschinelle Übersetzung. Unsere automatischen Problemlöser werden zusehends vielseitiger und bald über mehr rohe Rechenkraft verfügen als ein Menschenhirn; ein paar Jahrzehnte später wohl über mehr als alle Menschenhirne zusammen. Die entsprechende Lernsoftware scheint nicht weit hinterherzuhinken. Zumindest auf dem Papier gibt es bereits in meinem Labor entwickelte universelle Problemlöser, die in einem gewissen mathematischen Sinne optimal sind. Unsere formelle Theorie des Spaßes erlaubt sogar, Neugierde und Kreativität zu implementieren, um künstliche Wissenschaftler und Künstler zu bauen. Diese Entwicklung wird voraussichtlich fast jeden Aspekt unserer Zivilisation sehr rasch sehr grundlegend verändern. Und superkluge KIs werden vielleicht bald das Sonnensystem und den Rest der Galaxis besiedeln.
KI ist technologiebasierter Treiber für Innovation und bleibt ein Mittel zum Zweck
Die technischen und konzeptionellen Möglichkeiten zur KI nehmen kontinuierlich zu. Der Reifegrad, die Skalierbarkeit und die Stückkosten für KI-basierte Lösungen erweitern Lösungsräume und Anwendungsszenarien. Veränderungsoptionen für Firmen ergeben sich bei der grundsätzlichen Ausgestaltung des eigenen Geschäftsmodells, auf der Ebene der Prozesse im Unternehmen und bei der Optimierung von Produkten oder externen und internen Services. Die Unterschiedlichkeit der Chancen führt dazu, dass Unternehmen verschiedenartige Voraussetzungen dafür schaffen müssen, die in hoher Geschwindigkeit entstehenden Chancen zu nutzen. Technologiegetriebene Innovation bedeutet immer auch die Überprüfung von Anwendungsszenarien, deren Wirksamkeit und die Möglichkeit zur operativen Skalierung. Die Grenzen des eigenen Geschäftsmodells sind dabei in der Regel neu zu definieren. Ebenso ergeben sich neue Konstellationen zur Zusammenarbeit mit Partnern und die Notwendigkeit zur Ausgestaltung der für die Zukunft wichtigen Kernkompetenzen im Unternehmen. Abgesehen von Firmen und Institutionen, die sich im Kern mit KI beschäftigen, ist das Thema allerdings kein Selbstzweck, sondern immer ein Hebel, um einen gewollten Nutzen zu generieren, der klassisch nicht herstellbar ist.
Alles unter Kontrolle?
Was passiert, wenn wir auch die Entscheidungen den Maschinen überlassen.
Nicht nur operative Prozesse und Tätigkeiten werden immer stärker digitalisiert und automatisiert, sondern auch die ur-menschliche Domäne der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsträger werden seit vielen Jahren durch eine Datenbereitstellung in Business Intelligence Werkzeugen unterstützt. Doch die reine Verfügbarkeit von Daten führt nicht immer zu stärker faktenbasierten Entscheidungen und reicht in einer zunehmend digitalisierten Welt auch nicht mehr aus, wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Analysefähigkeit von Algorithmen und Modellen wird daher momentan so weit ausgebaut, dass ihre Voraussagen und Empfehlungen den menschlichen Entscheidungsträger zunächst immer besser unterstützen, schließlich aber auch überflüssig machen können. Denn die Vision eines datengetriebenen Unternehmens erfordert konsequent auch einen hohen Grad an Entscheidungsautomatisierung. Der Pfad dorthin scheint aufgrund der immer unübersichtlicheren Datengrundlagen und des Druckes auf immer schnellere Entscheidungen ebenso unausweichlich wie problematisch.
Erfolgreich werden diejenigen Unternehmen sein, welche sowohl Potentiale und Chancen der Entscheidungsautomatisierung erkennen und systematisch für sich nutzbar machen, aber auch die inhärenten Risiken und Gefahren verstehen und entschärfen.Burkhard Oppenberg: Interview
Dr. Hajo Hessabi: Interview
Dr. Dietmar Meister: Interview
Dr. Holger Koemm: Interview
Dr. Ludger Laufenberg: Interview
Dr. Martin Frick: Interview
Dr. Michael Picard: Interview
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Lothar Kriszun: Interview
Prof. Dr. Florian Gantner: Interview